Standing Ovation für Wilco im Volkshaus

Konzertkritik: Wilco im Volkshaus
Bildquelle: 
Bäckstage

An einem Mittwochabend, gut zweieinviertel Stunden lang entspannt einer Band zuhören, die sich stilsicher durch typisch amerikanische Genres wie Country, Folk, Americana und etwas Alternative Rock bewegt und dabei selbst in leisen Momenten die volle Aufmerksamkeit des Publikums hat, das bedeutet: Wilco waren in der Stadt.

 

Frontmann Jeff Tweedy versprüht an diesem Abend im Volkshaus mit verwaschenem Jeanshemd, kontrastierendem hellen Cowboyhut und kleinem Wohlstandsbäuchlein schon einen rauen, rustikalen Charme, vielleicht hört man ihm deshalb zu. Oder es liegt daran, dass der Amerikaner schon sagt, wenn ihm etwas nicht passt. So erwischt er einen Zwischenrufer eiskalt, indem er nachfragt und lakonisch meint, «Mit einer Antwort hast du nicht gerechnet, oder? Aber ich höre dich». Viel wahrscheinlicher ist letztendlich, dass man keine Sekunde des hochwertigen Konzertes verpassen möchte. Egal woran es liegt, so still war das Volkshaus lange nicht mehr bei einem Konzert.

 

Es spricht meist für eine Band, wenn ein Konzert in dieser Länge wie ein Blinzeln vorbei geht. In der aktuellen Besetzung sind Wilco sechs Musiker und offenbar ist der Anspruch an sich selbst riesig, denn Längen hat das Konzert keine. Zwar zeigen sich Wilco wie so oft anfangs etwas kühl, aber schon vor dem sechsten Song wendet sich Tweedy erstmals ans Publikum und badet im Jubel. «If I Ever Was A Child» heisst der Song zur Erweckung. Ab diesem Zeitpunkt ist das Konzert ein Selbstläufer. Wilco können sich sowohl auf ihre individuelle Klasse als auch auf die Wucht als Band blind verlassen.

 

Fotos: Bäckstage

 

Jedoch sind aus den revolutionären Köpfen, die schon mal ein Album aus den Händen des Labels entreissen, um sich künstlerisch nicht zu verbiegen, wie im Fall von «Yankee Hotel Foxtrot» passiert, entspannte Männer mittleren Alters geworden. Die Energie, jene filigrane Kraft zwischen Ausbruch und Sanftmut, ist jedoch kaum gewichen und entlädt sich schon mal in minutenlangen Instrumentalgewittern. Sauber orchestriert, mit einem Schuss Dreck. Das sind Wilco. Wilco sind aber auch leise, gar kuschelig weich. Die beiden Gegensätze greifen perfekt.

 

Immer wieder beeindruckend zu beobachten, wie Wilco mit Songs, die im Grunde keine bekannten Hits sind, die Spannung halten können. Das Spiel mit der Dynamik im Set beherrschen sie meisterhaft. Selbst wenn das Volkshaus lange nicht ausverkauft ist, schliesslich ist das neue Album als Antrieb noch gar nicht auf dem Markt, bekommen die Zuschauer ein erstklassiges Konzert. Die Band aus Chicago zelebriert Gitarrensoli unter jubelnden Pfiffen, lädt mit Songs wie direkt aus dem staubigen Westen zum Geniessen ein und fackelt in lauten Momenten ekstatisch das Haus nieder. Ein Höhepunkt ist das epische «Impossible Germany», das minutenlang alle genannten Stärken vereint. In den Zugaben bekommt Folk-Legende Woody Guthrie mit «California Stars» eine kleine Hommage. Wilco haben gemeinsam mit Songwriter-Kollege Billy Bragg einst ein komplettes Album mit Guthrie-Songs eingespielt.

 

Wilco variieren ihre Setlists oft, was im Umkehrschluss bedeutet, dass nicht alle persönlichen Lieblingssongs gespielt werden. Macht aber überhaupt nichts, denn Wilco sind seit weit über zwanzig Jahren ein selbstgemachtes Versprechen und dieses halten sie in Zürich erneut. Von der schnurrenden Slide Guitar bis zum facettenreichen Gesang Tweedys und vom clever dosierten Schlagzeug zum flächengebenden Bass. Dafür gibt es in Zürich Standing Ovation.

 

Wilco sind nach wie vor eine Nischenband. Aber entdeckt man sie, wird man mit wunderbarer Musik und beeindruckenden Konzerten belohnt.

 

 

Bäckstage Redaktion / Fr, 20. Sep 2019